The Manifesto – Deutsche Version

circusmanifestoAusgangspunkt

Die Zirkuskunst ist viel mehr, als dass man ihr Wesen in einem Satz zusammenfassen könnte. Diese ist eine Kunstart, die seit jeher existiert. In der Neuzeit verfügt sie schon über jahrhundertealte Traditionen und über die einfache Unterhaltung hinwegvertritt sie interkulturelle, soziologische und bedeutende wirtschaftliche Werte. Der Zirkus ist eine besondere Lebensform, ein Zweig der darstellenden Künste, der gleichzeitig mehrere Generationen ansprechen kann. In den vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten ist sie eine unermesslich bunte und reiche Entwicklung durchgegangen: Neben der traditionellen Form wurden die Wanderzirkusse, der Zirkus der nächsten Generation, die Nostalgie-Ensembles, die Kaskadeuerzirkusse, die Street-Art-Performances, die verschiedenen thematischen Akrobatikshows und die zeitgenössischen Ensembles mit ihren progressiven Darbietungen bejubelte Teile der Branche. Die Gemeinschafts- und Jugendzirkusse, die Freizeitzirkusgemeinschaften und -schulen wurden wertvolle Teile der zeitgenössischen Zirkuskunst– sie sichern nicht nur den Nachwuchs und die Entwicklung dieser Kunst, sondern erweitern ingroßem Maße die Instrumentarien der sozialen Kohäsion, der Arbeitsbeschaffung, der gesellschaftlichen Solidarität und der interkulturellen Kooperation, die heutzutage von großer Bedeutung sind.
Die Bedürfnisse, die aus der Entwicklung der modernen Zirkuskunst entstanden sind, wurden von den gesellschaftlichen Einrichtungen und von der Rechtsordnung weitgehend außer Acht gelassen. Außerdem konnten sich einige Vertreter der Zirkuskunst an die Herausforderungen und Erwartungen der Neuzeit nicht in ausreichendem Maße anpassen.
Das vorliegende „Circus Manifesto“ fasst die derzeitige Lage und die zukünftigen Möglichkeiten, Erwartungen und Vorschläge der ganzen europäischen Zirkusgemeinschaft (Zirkusse, Ensembles, Artisten, Amateure und professionelle Darsteller, Schulen, Jugend- und soziale Zirkusgemeinschaften) in einem Dokument zusammen.

Unser Platz in der europäischen Kultur: Anerkennung und Unterstützung

– Der Zirkus bietet Millionen von Menschen eine qualitätvolle Unterhaltung und Zehntausenden von Menschen eine Existenz. Eine Besonderheit dieser Kunstart ist, dass sie der ganzen Familie Entspannung und Erlebnis bietet.
– Die Zirkuskunst ist eine gemeinschaftsstiftende und -erziehendeKunstart, die die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit aufbrechen will und die das gemeinschaftsstärkende Regelwerk des Alltagslebens festigen, auf die Probe stellen und popularisieren kann. Der Zirkus ist ein wichtiger und prägender Zweig der europäischen darstellenden Künste und ist gleichrangig mit dem Theater, der Oper, der Tanzkunst oder dem Ballett.
– Der Zirkus ist ein fester Bestandteil der europäischen Kultur und der europäischen Wirtschaft und verdient dementsprechend Beachtung und Anerkennung.
– In der Europäischen Union ist die letzte umfassende Untersuchung über die Zirkuskunst vor mehr als dreizehn Jahren entstanden. Wir halten es für aktuell, dass die Europäische Kommission eine ähnliche Untersuchung über die Lage der 250 Jahre alten Zirkuskunst beantragt.
– Unser Ziel ist, dass die Zirkuskunst auch auf internationaler Ebene die Anerkennung bekommt, die ihr aufgrund ihrer Rolle im kulturellen Leben der Welt würdig ist. Unser Ziel ist es auch, dass die universelle Zirkuskunst baldmöglichst auf die UNESCO Liste des Immateriellen Kulturerbes gesetzt wird.
– Wir bitten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union darum– falls sie es noch nicht getan haben –, die Zirkuskunst auch offiziell als Teil der europäischen Kultur anzuerkennen. Wir bitten sie gleichzeitig darum, ihre Zirkuskunst auf ihre UNESCO Liste desImmateriellen Kulturerbes zu setzen.
– Wir schlagen die Herstellung einer allgemeinen „Zirkuskunstkarte“ von Europa vor, die die allgemeinen und die Werten der Neuzeit vertretenden Ausdrucksformen der Zirkuskunst und ihre Rollen darstellt und analysiert. Es muss sichergestellt werden, dass die Ensembles in den verschiedenen Stilbereichen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gleich behandelt werden – z. B. bezüglich des Zugangs zu Quellen.
– Weitere Anstrengungen müssen zur Erweiterung der Rechtsharmonisierung unternommen werden, die die freie Bewegung der Zirkusse zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern könnte. Auch die Vorschriften bezüglich der öffentlichen Sicherheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz müssen vereinheitlicht werden. Es muss geprüft werden, wie die EU-Regelungen bezüglich der mobilen und temporären Zirkuseinrichtungen möglichst bald und effizient normiert werden könnten.
– Die grenzübergreifende Mobilität – eines der wichtigsten Merkmale des Zirkus – erfordert, dass die Situation des Zirkus aus europäischer Sicht betrachtet wird, und Maßnahmen auf der Ebene der Union in diesem Bereich getroffen werden. Die Frage der europäischen Visaerleichterung im Fall von Artisten und Künstlern aus Drittstaaten ist weiterhin offen. Wir bitten die im Entscheidungsprozess Beteiligten darum, den Prozess der Finalisierung und der Annahme des Vorschlags im Trialog zu beschleunigen.

Traditionelle Werte und die Herausforderungen der Gegenwart

– Die Zirkuskunst ist in den vergangenen 250 Jahren radikale Veränderungen durchgegangen;sie hat ständig bewiesen, dass sie neben der Pflege der traditionellen Werte immer fähig auf Erneuerung ist. Jeder neue Stil baut aber auf die Grundlagen der traditionellen Zirkuskunst.
-Tiernummer sind legitime Teile des traditionellen Zirkus und somit auch der universellen Zirkuskunst, diedie europäische Kultur bereichert. Sie vertreten auch einen kulturellen Wert. In einem Zirkus, der die reellen kulturellen Werte vertritt, respektieren die Artisten und die Tiertrainer die Tiere und betrachten sie als Partner.
– Wir unterstützen es, dass es in jedem Land strenge, den tiergesundheitlichenVorschriften und den Tierschutznormen aus jeder Sicht entsprechende gesetzliche Regelungen und Kontrolle bezüglich der Tierhaltung und des Trainings im Zirkus gibt. In den vorgeschriebenen Rahmen muss den Zirkussen, den Künstlern, den Artisten gleichzeitig das Recht zur freien Entscheidung gewährleistet werden, ob sie mit oder ohne Tiere arbeiten möchten.
– Die universelle Annahme oder das universelle Verbot istaus Mangel an einer einheitlichen europäischen Regelung nicht möglich. Deswegen müssen die Gemeinschaften und Ensembles, die verantwortungsvoll sind und die gültigen Gesetze und beruflichen Vorschriften einhalten und diejenigen, die die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln außer Acht lassen, authentisch und klar voneinander unterschieden werden.
– Wir unterstützen den Vorschlag über die Entstehung einer unabhängigen Körperschaft, die anhand eines gemeinsam erarbeiteten beruflichen Rahmens wiederkehrend die europäischen Zirkusse, Zirkusensembles, Zirkuskunstgemeinschaften bewertet, z. B. in Hinsicht auf die Sicherheitsanforderungen, die verantwortungsvolle Tierhaltung, die Sicherung der Arbeitnehmerrechte, die berufliche Ausbildung und die Bildungsmöglichkeiten der Arbeiter, die Pflege der Traditionen der Zirkuskunst, die Fähigkeit zur progressiven Erneuerung oder das gesellschaftliche Engagement. Das von IstvánUjhelyi, dem Abgeordneten des Europäischen Parlaments vorgeschlagene Akkreditierungssystem „Big Top Label“ (der „Michelin-Stern“ der Zirkuswelt)könnte eine umfassende Qualitätsgarantie bedeuten, die einerseits ein Wegweiser für das Publikum wäre, andererseits die Arbeit der Behörden bei der Beurteilung der Genehmigungen erleichtern würde.

Gesellschaftliches Engagement

– Das Erlebnis als Darsteller und Künstler im Zirkus ist heute nicht mehr nur ein Privileg der auftretenden und professionellen Artisten; dank der sozialen und der jugendlichen Zirkusgemeinschaften können alle Teil des Zaubers werden: des Zaubers der Zirkuskunst, die wichtige gesellschaftliche Botschaften vermitteln kann.
-Zurzeit sind in 70 Ländern der Welt mehr als fünfhundert sog. soziale (social = die gesellschaftliche Integration vorantreibend) Zirkusse tätig, nur in Europa mehr als zweihundert. Ihre Unterstützung im kulturellen und im Bildungssektor mussgestärkt werden, für ihre weitere Entwicklung brauchen wir gezielte Programme.
– Durch die Schaffung individueller Plattformen muss die Kooperation und der regelmäßige Austausch zwischen den verschiedenen Kunstformen gefördert werden. Hier müssen auch die Institutionen und Foren der EU gelegentlich die Rolle des Moderators spielen.
– Die Zirkuspädagogik ist ein substanzielles ergänzendes Mittel in der geistlichen und physischen Bildung der Jugendlichen, somit übt sie eine positive Auswirkung u. a. auf die Jugendarbeitslosigkeit aus. Wir halten es für nötig, dass die betroffenen Zirkusschulen und Gemeinschaften anhand einer gut ausgearbeiteten Strategie eine bewusste staatliche Unterstützung bekommen.
-Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen wir die Initiativen, die zum Ziel haben, dass die soziale und die jugendliche Zirkuspädagogik möglichst bald Hochschullehrmaterial und ein eigenes Fach werden. Ebenso muss die Bekanntheit und die Anerkennung der Methodik der Zirkustherapie geschaffen werden; die Durchführung von Untersuchungen und die Herstellung von Ergebnisstatistiken in diesem Bereich müssen gefördert werden.

Wirtschaftliche Möglichkeiten und Kooperationen

– Der kulturelle und der kreative Sektor (Oper, Theater, Tanzkunst, Live-Musik, Zirkuskunst usw.) sichert mehr als 1,2 Millionen Arbeitsstellen in der europäischen Wirtschaft. Dies bedeutet, dass der Zirkus eine bedeutende Rolle in der europäischen Erneuerung und im Wirtschaftswachstum hat – sowohl jetzt als auch in der Zukunft. Umfragen und Statistiken beweisen, dass die Menschen, die regelmäßig an einem kulturellen Erlebnis Teil haben, glücklicher sind und eine Arbeit auf einem höheren Niveau leisten können.
– Tourismus ist ein Motor der europäischen Wirtschaft, und die Zirkuskunst knüpft sich aktiv und fest an ihn an. Eine bewusstere Kooperation der Vertreter der Branchen Zirkus und Tourismus muss ermuntert werden.
– 2018 wird das Europäische Jahr des kulturellen Erbes sein. Auf diese Weise wird zahlreichen bedeutenden kulturellen Programmen und Initiativen Platz gegeben. In demselben Jahr wird das 250. Jubiläum des Zirkus der Neuzeit gefeiert; die Verbindung dieser beiden Ereignisse ist mehr als nötig.
– Wir unterstützen die aktive Kooperation zwischen der europäischen Institutionen, die das Europäische Jahr des kulturellen Erbes 2018 organisieren und der Organisatoren der das 250. Jubiläum feiernden Ereignisse, damit der Zirkus in der Programmreihe der EU das Gewicht bekommt, dasihmaufgrund seiner in der europäischen Kultur erfüllten Rolle und seiner Vergangenheit von einem Viertel Milleniumwürdig ist.

Monte Carlo, 22. 01. 2017

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